Vor ein paar Tagen saß ich im Zug zu meinen Eltern und hörte in einem Nebensatz: Die Fastenzeit hat heute angefangen. Oh, da war ja was. Über mögliche Vorsätze hatte ich bis dahin dementsprechend gar keine Gedanken gemacht, weil ich das Fasten überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Und aus dem Stehgreif fiel mir nichts Gutes ein, auf das ich jetzt verzichten könnte.
Auf spezielles Essen wie Süßigkeiten oder Essen-Gehen habe
ich noch nie verzichtet, weil ich seit der Pubertät gewichtsmäßig knapp an
der Grenze zum Untergewicht stehe und kleine Snacks zwischendurch für mich
wichtig sind. Soziale Netzwerke habe ich schon einmal und damals auch sehr
gerne gefastet, aber mit der bevorstehenden Fernbeziehung und den ständigen
Ortswechsel in der nächsten Zeit möchte ich die Möglichkeit nicht missen, mich
unkompliziert mit anderen über Instagram und Co zu vernetzen und auszutauschen.
Nicht zwingend notwendigen Konsum zu fasten ist für mich auch eher im kommenden Semester sinnvoll, wenn
ich wieder fest an einem Ort bin, zumal ich mir aus Wien gerne ein spezielles Souvenir
mitbringen möchte. Und gleich in der ersten Woche gegen das Fastengebot zu
verstoßen? Dann doch lieber ein anderes Mal und dann richtig. (Auf den christlichen Aspekt der Fastenzeit möchte ich an
dieser Stelle nicht eingehen.)
Bei meinen Überlegungen, was ich denn fasten
könnte, bin ich gedanklich wieder zu einem Thema gekommen, das mir immer wieder
durch den Kopf geht: Welchen Luxus das bewusste Verzichten-Können doch
darstellt. Und während ich (mal wieder) im Zug sitze, möchte ich diese Gedanken etwas
weiterspinnen und ausformulieren. Eine kleine Kolumne also? Wir werden sehen.
Für mich persönlich gibt es drei Bereiche, in denen ich dauerhaft auf etwas verzichte. Ich nehme keine glutenhaltigen Nahrungsmittel zu mir,
kaufe nur nachhaltige oder gebrauchte Kleidung und verzichte auf
sorbitolreiches Essen wie Äpfel, Steinobst oder Diätgetränke. Es gibt sicher noch
mehr, zum Beispiel versuche ich so wenig wie möglich zu fliegen und nehme
stattdessen, wann immer es möglich ist, den Zug. Aber spontan fielen mir diese drei
Verzichte ein, weil meine Motivation für den Verzicht jeweils ganz
unterschiedlich ist.
Verzichten-Müssen
Gluten meide ich - wie sicher einige von euch wissen - strengstens, weil winzige Mengen in meinem
Körper eine Autoimmunreaktion auslösen, die unter dem Krankheitsbild Zöliakie
zusammengefasst wird. Man könnte auch sagen, dass ich darauf verzichten muss,
aber ich versuche gerade bei diesem Thema, das Wort „müssen“ gedanklich so gut es geht zu vermeiden. Stattdessen
versuche ich bewusst zu denken: Ich verzichte komplett auf Gluten, weil ich
dadurch schwere Mangelzustände und Tumore verhindere, am Alltag teilhaben und
Ziele wie mein Studium, Reisen oder Zeit mit Familie und Freund_Innen verwirklichen
kann. Fakt ist aber, dass selbst die kleinste Menge Gluten wie die Krümel in
einem Toaster oder am Buttermesser eine Entzündung in meinem Darm auslöst und ich dadurch krank werde.
Das Verzichten auf Gluten ist für mich mit den Jahren und
auch mit dem wachsenden Angebot leichter geworden. Ich wünsche meine Krankheit
niemandem und sehe Ernährung an sich als Privatsache, die jede_r so gestalten
kann, wie es für einen am besten passt. Und ich profitiere vom derzeitigen Glutenfrei-Hype
in gewisser Weise, weil durch die größere Nachfrage mittlerweile auch
mittelgroße Supermärkte und sogar manche Restaurantketten wie Vapiano glutenfreie
Produkte anbieten.
Und gleichzeitig erwische ich mich immer wieder, wie ich
mich über Menschen ärgere, die sich durch eine glutenarme oder
Ab-und-zu-glutenfreie Ernährung online profilieren und an einem Tag ihre glutenfreie
Frühstücks-Bowl in die Kamera halten, dann aber doch wieder in den Standard-Kebab
von nebenan beißen.
Da ist sicher auch ein Stück Neid dabei, weil ich eben
nicht den einen Tag so, den anderen Tag anders essen kann. Ich habe seit meiner
Diagnose vor vier Jahren keinen Döner gegessen habe und zur Faschingszeit umgehe
ich Bäckereien mit leckeren Berlinern in großem Bogen, weil mir solche vertrauten
Lebensmittel manchmal extrem fehlen und der Verzicht mich in manchen
Situationen traurig und niedergeschlagen macht. Gleichzeitig habe ich den
Eindruck, dass meine Krankheit und die Ernsthaftigkeit, mit der Zöliakie-Betroffene
auf die strenge Glutenfreiheit ihres Essens achten, immer unsichtbarer und teils auch nicht ernstgenommen wird, wenn
die Mehrzahl die glutenfreie Ernährung nur halbherzig durchzieht und auf Kontamination
durch Brotkrümel oder falsche Zubereitung gar nicht achtet. Glutenfrei als Trend macht für mich einiges leichter, vieles aaber auch schwieriger.
Verzichten-Sollen
Dabei handhabe ich meinen Verzicht auf Sorbitol genau so wie die Menschen, über die ich mich gerade noch geärgert habe. Meine
Sorbitolintoleranz macht sich zwar nach einem Glas Wein oder Apfelsaft bemerkbar,
aber wenn ich will, kann ich ab und zu gut einen Becher Glühwein trinken,
Sauerkirschmarmelade auf mein Brötchen schmieren oder den Ingwershot mit
Apfelsaft trinken. Je nachdem, wie wichtig mir in dieser Situation der Genuss
und die Geselligkeit ist, nehme ich etwas Bauchschmerzen und Blähungen gerne ein- oder zweimal im
Monat in Kauf. In der restlichen Zeit weiß ich, dass ich mir durch den Verzicht
konkret etwas Gutes tue.
Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass dieses
Verzichten-Können ein Privileg ist, das andere nicht haben, die beispielsweise
unter einer medikamentösen Dauertherapie komplett auf Alkohol verzichten müssen
oder eine Fruktosemalabsorption haben. Mal abgesehen davon, dass das bewusste
Vorziehen von exotischen Früchten, die wenig Sorbitol enthalten, auch ein
finanzieller Luxus ist, den sich Menschen mit geringem Einkommen oder Menschen,
die auf externes Essen aus Kantinen oder Mensen angewiesen sind, vielleicht auf Dauer nicht
leisten können. Wie überhaupt die Tatsache, dass ich zu einem Arzt gehen kann,
der mich auf die Intoleranz testet und das Ganze dann über die gesetzliche
Krankenkasse abrechnet, in vielen Teilen der Welt nicht
selbstverständlich ist.
Verzichten-Können
Nachhaltige Mode war eine Weile mein Lieblingsthema und ist mittlerweile zu einem selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden. Ich kaufe neue Kleidung und Schuhe am liebsten gebraucht und sonst von nachhaltigen Labels, die auf faire Produktionsbedingungen und ökologisch günstige Materialien achten. Das ist eine Entscheidung, die ich ganz bewusst und frei getroffen habe.
Dass ich die Fast-Fashion-Industrie so einfach umgehen kann, zeigt meine Privilegiertheit im bewussten Verzichten-Können noch deutlicher, finde ich.
Ich meine, schon alleine die Tatsache, dass ich mir einmal im Semester ein
fair produziertes Kleidungsstück für über 80€ kaufen kann, wenn ich an anderer Stelle etwas
spare, ist Luxus und für viele einfach finanziell nicht möglich. Und dass ich die gedanklichen Kapazitäten habe, mich mit
Themen wie Nachhaltigkeit und ethischem Konsum auseinanderzusetzen, weil mein Kopf
nicht von existentiellen Sorgen belegt wird.
Das bewusste Verzichten auf etwas tut gut.
Gerade in einer
Zeit, in der man im Supermarkt erschlagen wird vom Angebot, es an jeder Ecke Kleidungsgeschäfte,
Imbisse und den neusten Mid-Winter-Sale gibt. Wenn ich H&M, Zara und Co meide, verbanne ich damit auch die Versuchung, ständig die
neuesten Trends zu tragen und doch noch ein Schnäppchen zu finden. Wenn ich auf Plastikmüll verzichte, hilft das nicht
nur der Umwelt, sondern auch mir dabei, nicht ständig an Imbissbuden etwas zu
kaufen, obwohl ich eigentlich gar keinen Hunger habe. Und wenn ich bewusst auf
manche Inhaltsstoffe verzichte, sei es in der Kosmetik oder im Essen, reduziert
sich das Überangebot, das im Supermarkt auf mich einprasselt, auf einmal auf
eine überschaubare Menge. Kein Wunder, dass Minimalismus, Capsule Wardrobes und spezielle Ernährungsformen ohne Zucker/Tier/Fett seit einer Weile so extrem angesagt sind.
In einer Zeit, in der
unser Leben immer schneller und unübersichtlicher wird, geben einem solche
bewussten Verzichte ein Gefühl von Selbstbestimmtheit, Kontrolle und
Unabhängigkeit. Die Option, alles (theoretisch) zu jeder Zeit machen und haben zu können, macht uns auf Dauer nicht glücklich und frei, selbst wenn Werbeanzeigen uns das vorgaukeln.
Und gleichzeitig ist das Verzichten-Können ein Privileg, das
sich beispielsweise Menschen mit gesundheitlichen oder körperlichen Problemen, in
finanziellen Nöten oder mit einer zeitlichen Überauslastung nicht immer leisten
können. Vom bewussten Verzicht sind immer Menschen ausgeschlossen und zwar
mehr, als einem spontan einfallen. Das ist etwas, das meiner Meinung nach
immer mitgedacht werden sollte, wenn man in Gesprächen oder in Sozialen
Netzwerken den bewussten Verzicht als einen Schlüssel zum Glück darstellt.
Fastest du, und wenn ja, was? Oder verzichtest du im Alltag allgemein
bewusst auf bestimmte Dinge?
Gibt es Bereiche, in denen du dich vom Verzichten-Können
ausgeschlossen fühlst?
Alles Liebe,
Miri
Miri
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