6. Februar 2018

Ich weiß, was du letzte Woche getan hast – Über Selbst- und Fremdwahrnehmung im Internet


Seit 10 Jahren teile ich Ausschnitte meines Lebens mit dem Internet.
Mal mehr, mal weniger ausführlich, auf mit der Zeit wechselnden Plattformen (erst SchülerVZ, dann Facebook, dann tumblr, dann Twitter, dann Instagram, dann dieser Blog) und mit einem Publikum, das zwischen 2 und 1900 Menschen liegt. Ich teilte und teile abendliche Gedanken, Links zu Ohrwurm-Lieder, Fotos mit Erinnerungswert, gestellte Fotos, Texte über den Alltag und das Studium, Reiseimpressionen und alberne Schnappschüsse. Und irgendwann kam da immer die Frage: Was denken eigentlich die Menschen, die sich das Ganze anschauen und durchlesen, darüber? 


Bei anonymen Accounts oder absoluten Fremden ist mir das meist herzlich egal. Man könnte mein Selbstdarstellungsbedürfnis sicher ausführlich analysieren, aber an sich schreibe ich nicht, damit fremde Menschen mich als Person toll finden. Ich finde den Austausch unter meinen Beiträgen spannend und bereichernd, erhalte oft Anregungen oder Impulse, die ich von dem Menschen in meinem direkten Umfeld so nicht bekommen würde und mag es, Kontakte zu Menschen knüpfen zu können, denen ich sonst niemals begegnet wäre. Und: In irgendeiner Weise eine Plattform für Gedanken zu haben, motiviert mich, diese niederzuschreiben und anders anzugehen. Das Schreiben tut mir gut.

Kathi, Paul & Julian


Nun folgen mir aber nicht nur Fremde, sondern auch Menschen, die mich irgendwie aus dem Alltag kennen oder mir davor zumindest schon einmal begegnet sind. Julian aus der ehemaligen Parallelklasse, Kathi, die gute Freundin einer, mit der ich Tennis gespielt habe, Paul, der in den Vorlesungen manchmal neben mir sitzt. Menschen, mit denen ich nie mehr als ein paar Worte gewechselt habe, die ich aber schon irgendwie kenne und die jetzt recht private Gedanken von mir kennen, ohne dass ich im Gegenzug mehr über sie weiß. Und dann gibt es auch noch meine engen Freundinnen, die meistens mitlesen, aber selten etwas dazu schreiben oder sagen. Wie ist es für sie, Aktuelles aus dem Internet und nicht immer im persönlichen Gespräch zu erfahren?

Dass ich nicht die einzige bin, die sich über dieses Thema Gedanken macht, weiß ich aus zahlreichen Konversationen darüber, ob man sein Konto privat schalten sollte oder ob man Bekannte oder auch gute Freund_Innen blockieren darf, wenn man sich damit unwohl fühlt, dass sie plötzlich einen tieferen Einblick in das eigene Leben erhalten. Das Ganze wirkt paradox, wenn es einem nichts ausmacht, dass dieselben Einblicke 1000 andere Menschen haben dürfen, die einen noch nicht einmal kennen. Andererseits macht der Austausch mit Unbekannten, das Sich in einem anderen Rahmen erleben und ausprobieren können, sicher auch einen Teil des Reizes aus, den Plattformen wie Instagram ausüben.

Wenn ich sehe, dass mir ehemalige Klassenkamerad_Innen oder Kommiliton_Innen folgen, löst das bei mir meist gemischte Gefühle und oft ein bisschen Unwohlsein aus. Ich glaube, das geschieht großteils aus Angst vor Konsequenzen. Schließlich besteht die realistische Option, dass diese entfernten Bekannten meine Texte albern finden und mich darauf ansprechen oder anderen davon erzählen könnten, die sich dann über mich lustig machen. Obwohl ich hinter den Texten stehe, die ich schreibe, und sie für mich die Linie ins zu Private nie überschreiten, mache ich mich dadurch trotzdem angreifbar. Wenn Fremde meinen Internetauftritt blöd finden, hat das für mich keine Konsequenzen – bei den Menschen, die mich auch sonst kennen, potentiell schon. Andererseits mag ich es, über persönliche Bilder oder Gedanken mehr über Personen in meinem Umfeld zu erfahren, weshalb auch ich Menschen folge, die ich aus dem Alltag peripher kenne.

Willkommen auf der Metaebene!


Bevor ich zur Fremdwahrnehmung meiner Internet-Präsenz komme, ein paar Worte zu meiner Eigenwahrnehmung. Ich glaube, dass ich online sehr nachdenklich und eher ernst wirke, phasenweise glaube ich, dass ich fast depressiv scheine. Die Themen, die ich anspreche, sind recht vielseitig und dadurch komme ich vermutlich vielseitig interessiert und informiert rüber. Mit manchen Texten bin ich sehr zufrieden und freue mich, dass ich passende Worte gefunden habe. Manchmal frage ich mich, ob mein Internetauftritt selbstverliebt und übertrieben wirkt, weil ich relativ regelmäßig Zeit in virtuelle Inhalte investiere. Allgemein sehe ich keinen großen Unterschied zwischen mir privat und im Internet, nur dass ich privat meiner Meinung nach lustiger und herzlicher bin, als es auf Instagram wirkt.

Die statistisch keinesfalls signifikante Befragung ...


Kommen wir nun zum spannenden Teil: Die Fremdwahrnehmung. Ich habe (hoffentlich) allen Menschen, die mir auf Instagram folgen und die ich irgendwie auch „in echt“ kenne, geschrieben und sie gefragt, was sie denn von der Internet-Miri halten. Einige haben mir tatsächlich auch geantwortet mit einem für mich sehr interessanten Ergebnis.

Aus der Schulzeit folgen mir ein paar, die in andere Stufen gegangen sind und mit denen ich nicht mehr gemeinsam habe, als dass wir zur selben Schule gegangen sind. Eine schrieb mir, dass sie mich aus der Schulzeit nicht wirklich kannte, jetzt aber gerne meine Beiträge liest und die Themen und die Tatsache, dass ich viel über mich erzähle, spannend findet. Eine andere, mit der ich etwas mehr zu tun hatte, meinte, dass sie in der Schulzeit den Eindruck hatte, dass ich taff und ein bisschen eingebildet bin und dass ich damals belesen und gut artikuliert gewirkt habe, weshalb es sie auch überrascht hat, dass ich jetzt nichts mit Sprache oder Theater studiere. Für sie sei es überraschend gewesen, dass ich mich so für Nachhaltigkeit interessiere und selbstreflektiert und persönlich schreibe, sodass sie mich über Instagram ganz anders kennengelernt hat. Noch eine andere schrieb, dass ich online genau so rüberkomme, ich auch in den wenigen Momenten auf sie gewirkt habe: mit einer positiven Ausstrahlung und diskutierfreudig. Eine ehemalige Klassenkameradin meinte, für sie sei es komisch gewesen, mich an Weihnachten am Klassentreffen zu sehen, weil sie relativ viel über mein Leben wusste, ich aber nichts über ihres. Deshalb hätte sie es schwer gefunden, ein ungezwungenes Gespräch mit mir zu beginnen.

Die Menschen, die mich flüchtig aus dem Studium kennen, waren sich einig, dass ich in gemeinsamen Unikursen ganz anders wirke als auf Instagram. Auf Nachfragen kann heraus, dass ich auf sie im Lernkontext zielstrebig, unentspannter und nicht so sympathisch wie online gewirkt habe. Sie meinten, dass sie es toll finden, hier mehr über mich zu erfahren und sich dadurch ihr Eindruck von mir positiv verändert hat. Eine andere Kommilitonin war bei einem Vortrag dabei, den ich gehalten habe, und meinte, dass sie mich in diesem Kontext und auf Instagram als authentisch erlebt hat und dass sie es gut fände, dass ich mich sehr engagiert für meine Interessen/Ansichten einsetze, ohne anderen meine Meinung aufzuzwängen. Mein liebster Laborpartner schrieb Folgendes: „Wenn ich dich nicht kennen würde, fände ich es vielleicht etwas schwer einzuordnen, was ich so von dir lese. Ich würde es aber glaube ich auch einfach nicht lesen.“ 

Spannend finde ich, dass die Einschätzung derer, die mich als Präpkurstutorin hatten, ganz anders als die meiner Kommiliton_Innen ist. Hier war der Konsens, dass ich im Präpkurs genauso gewirkt habe wie auf Instagram. Außerdem meinten sie, dass sie es spannend finden, wie offen ich hier erzähle und dass sie sich manchmal darin wiederfinden bzw. es hilfreich ist, zu merken, dass man mit gewissen Problemen nicht alleine ist. Und auch ein Kommilitone aus meinem Erasmussemester in Wien meinte: „So sympathisch und wortgewandt, wie du in deinen Beiträgen schreibst, bist du tatsächlich auch in der realen Welt!“

Nun zu den Menschen, die ich zu meinem engen Freundeskreis zähle. Dort gab es sehr unterschiedliche Ansichten, was vielleicht auch daran liegt, dass wir uns zum Teil schon seit der Grundschule und damit aus verschiedenen Lebensphasen kennen und mit den Jahren auch viel Offenheit und Ehrlichkeit dazugekommen ist. 

Als Erstes gleich die kritischen Aspekte: Eine Freundin meinte, dass sie bei manchen Beiträgen den Eindruck bekommt, ich würde mich in Probleme hereinsteigern beziehungsweise diese in den Mittelpunkt stellen und mich dadurch selbst darstellen wollen. Eine andere schrieb mir, dass es sie manchmal ärgert, dass ich das Medizinstudium als so herausfordernd und nur für andere Medizinstudierende nachvollziehbar darstelle. Auch findet sie sich oft in der Art, wie ich über unsere Heimatstadt schreibe, nicht wieder. 

Allgemein ist es immer wieder Thema, dass meine Freundinnen aus der Schulzeit, die ich alle 3-4 Monate sehe und mit denen ich in der Zwischenzeit eher sporadischen Kontakt halte, aktuelle Informationen über mich oft über Instagram und nicht als Whatsapp-Nachricht erhalten – das ist ein Punkt, den manche schade finden, andere sind froh, überhaupt die Gelegenheit zu haben, über Instagram Neues zu erfahren.

Eine Freundin, die mich auch während meines Jeden-Tag-ein-Beitrag-September besucht hat, hat mir Folgendes geschrieben: „Wenn man im echten Leben mit dir zu tun hat, scheint Instagram irgendwie relativ weit weg. Es fühlt sich zumindest nicht so an, als würde es eine große Rolle für dich spielen. Ich habe den Eindruck, die Themen, die du hier ansprichst, finden sich nicht in deinen Gesprächen im Alltag wieder… wie zwei komplett getrennte Welten. Allerdings höre ich beim Lesen deiner Beiträge immer deine Stimme in meinem Kopf. Dein Schreibstil auf dieser Plattform entspricht wirklich der Art, wie du dich in echten Gesprächen ausdrückst: gewählt, nachdenklich und mit vielen (zum Teil sehr selbstkritischen) Fragen.“ 

Es gab bei Weitem nicht nur kritische Gedanken zu meiner Internet-Präsenz aus meinem engen Freundeskreis (natürlich sind die kritischen für einen solchen Artikel besonders interessant). Eine Freundin glaubt, „das gibt dir ganz viel, da einige deiner Lebensereignisse / Themen, die dich gerade beschäftigen, aufzuschreiben und dich mit anderen auszutauschen.“ Eine schrieb, dass ihr meine Fotos immer gut gefallen, oft kam, dass viele meiner Beiträge interessant sind. Alle waren sich einig, dass ich auf Instagram so wirke wie im persönlichen Kontakt, vielleicht etwas erwachsener. Eine meinte, dass sie es toll findet, wie ich mein eigenes Ding durchziehe und das mache, was mir Spaß bereitet.

... und das Fazit?


Alles in allem also ein gemischter Eindruck, aber bei Weitem nicht so schlimm wie meine Befürchtungen und auch in großen Teilen anders als meine Selbstwahrnehmung. Überrascht hat mich, dass fast alle hervorgehoben haben, wie offen, privat und persönlich ich in meinen Beiträgen schreibe – vermutlich hat sich für mich mit der Zeit einfach auch verändert, was ich als (zu) privat empfinde, selbst wenn es natürlich auch Themen gibt, über die ich nie schreibe und ich maximal 10% meines Lebens irgendwie im Internet dokumentiere.

Überraschend, wenn auch keinesfalls verletzend, war für mich auch, dass ich weiterhin in einem Lernkontext ganz anders wirke als in meiner Freizeit. Ich schreibe weiterhin, weil das bei mir in der Schulzeit immer der Fall war – die, die mich nur aus dem Unterricht kannten, fanden mich (zugespitzt) blöd, mit den anderen kam ich gut klar. Im Vergleich zur Schule ist der Studienalltag aber viel anonymer und was andere, mit denen ich nicht befreundet bin, von mir denken, bekomme ich gar nicht mit.

Im Endeffekt war es gar nicht so schlimm wie gedacht, meine Bekannten und Freund_Innen zu fragen, was sie eigentlich von meinem Internetauftritt halten. Es hat der Tatsache, dass viele meine Texte lesen, die ich auch privat irgendwie kenne, auf jeden Fall ihren Schrecken genommen. Dass meine Texte phasenweise sehr negativ sind, stört mich schon länger und ist etwas, das ich jetzt nochmal anders im Kopf behalten werde. Und dass ich doch viel sehr Privates ins Internet stelle, ist mir jetzt auch wieder anders bewusst. Aber vor allem bleibt die Erkenntnis, dass ich mir eigentlich keine Gedanken darüber machen muss, wie die „Internet-Miri“ auf Bekannte wirkt, die auf meinen Instagram-Account stoßen – wenn überhaupt, dann darüber, wie ich auf Fremde im Alltag wirke.



Erkennst du dich in meinen Bedenken über persönlich bekannte Instagram-Follower wieder? Inwieweit unterscheidet sich deine Selbstwahrnehmung davon, wie dich andere wahrnehmen, sei es im Internet oder im Alltag?

Wie immer interessieren mich deine Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema. Ich freue mich sehr über eure Kommentare und einen Austausch zu dem Thema!


Alles Liebe,
Miri

1 Kommentar:

  1. Hallo Miri!
    Wirklich ein interessanter Beitrag! Ich weiß gar nicht, ob ich mich selbst trauen würde, andere zu fragen, was sie von meinem Internetauftritt halten. Ich habe, um ehrlich zu sein, die Angst, dass mich viele aufgrund meiner exzessiven Lippenstift-Tragezeit als oberflächliche, uninteressante Tussi abgetan haben. Vielleicht habe ich da auch einfach nur ein Trauma.
    Wie auch immer... Ich wollte dir damit nur sagen, dass ich deinen Beitrag sehr spannend zu lesen fand, das ist vielleicht ein Experiment, dass viele mal durchführen sollten. Danke für den Einblick und für deinen Mut, mal nachzufragen!
    Bleib bitte auch weiterhin so offen und rede und schreibe so offen von der Seele. Das macht dich wirklich sympathisch ��

    Dina

    AntwortenLöschen